Patagonien – kalt, windig, trist?
9. Dezember 2019Fotogalerie Patagonien: Torres del Paine
19. Dezember 2019Heute wird ein guter Tag. Heute werden Patagonien und ich uns versöhnen. Heute fahren wir in den berühmten Nationalpark Torres del Paine und werden einen wunderschönen Wandertag bei bestem Wetter verbringen.
Oh, halt, stopp, doch nicht. Heute ist einer dieser anderen Tage:
Es gibt sie, diese Momente, in denen man an sich selber zweifelt. Zum Beispiel kurz nachdem ein heftiger Schreck den eigenen Körper durchzuckt hat. Unmittelbar nach dem Klacken des sich schließenden Kofferraumdeckels. Wenn einem bewusst wird, dass der Autoschlüssel auf dem Boden des Kofferraums liegt. Wo ich ihn abgelegt hatte, um den Rucksack hineinzuwuchten. Und wenn man feststellt, dass der Kofferraum des Mietwagens nur mit diesem Schlüssel zu öffnen ist. Und das in diesem gottverlassenen Nest mitten in Patagonien, hunderte von Kilometern von der Anmietstation entfernt. Das ist kein schöner Moment für’s Selbstwertgefühl. Welche Verrenkung ermöglicht es nochmal, sich selbst in den Allerwertesten zu beißen?
Eigentlich waren wir extra früh aufgestanden, um möglichst schnell im Nationalpark zu sein. Und jetzt das. Wir fragen den Wirt unserer Pension, ob es in der Stadt einen Pannenhilfsdienst gebe. Den gibt es nicht, aber er meint, er kenne jemanden, der das Auto öffnen könne. Ich schöpfe Hoffnung. Leider ist er so früh am morgen aber nicht erreichbar. Also warten wir. Und warten. Bis wir feststellen, dass der Wirt zwischenzeitlich die Herberge verlassen hat. Seiner Vertreterin hat er wohl die Telefonnummer seines Kumpels dagelassen. Leider spricht diese wieder mal nur Spanisch. Die Kommunikation läuft ab sofort nur noch via Google-Übersetzer-App auf dem Smartphone, in das abwechselnd die Wirtin und ich hineinsprechen. Leider kommt in diesem konkreten Fall nur wenig brauchbares Kauderwelsch heraus. Unsere Hoffnung auf eine schnelle Lösung durch einen lokalen Automechaniker sinkt rapide.
Wir beschließen, mit der Autovermietung Kontakt aufzunehmen. Es stellt sich heraus, dass diese ein Büro in der Stadt unterhält. Also machen wir uns auf den Weg dorthin. Der Desk-Mitarbeiter ist beschäftigt, aber Carlos nimmt sich unser an, ein kräftiger schwarzhaariger Typ mit buschigem Bart in kurzen Hosen (es ist ja Sommer in Patagonien!), ein wenig erinnert er an die Videospielfigur „Mario“ aus „Mario Kart“. Er fragt uns nach dem Autotyp und meint, den könne er vielleicht „knacken“. Kurz darauf kehrt er mit Werkzeug zurück und fährt mit uns zum Parkplatz unseres Mietwagens. Unterwegs erzählt er noch fröhlich, wir sollten uns keine Sorgen machen, er habe mal auf einer Hochzeitsfeier in betrunkenem Zustand ein Auto gleichen Typs bei laufendem Motor verschlossen (wie auch immer ihm das gelungen ist) und es anschließend auch wieder aufgebrochen. Mit diversen Hebelwerkzeugen und mehr oder minder brachialer Gewalt gelingt es ihm, die Fahrertür einen kleinen Spalt weit zu öffnen, aber mit dem mitgebrachten Drahtbügel schafft er es dann doch nicht, den Schalter zum Öffnen des Kofferraums zu erreichen. Unverrichteter Dinge müssen wir wieder abziehen. Also Plan B: die Mietwagenfirma gibt in Punta Arenas dem Fahrer des Überlandbusses nach Puerto Natales den Zweitschlüssel unseres Wagens mit. Es wird gute 5 Stunden dauern, bis beide (Bus und Schlüssel) bei uns eintreffen werden. Also üben wir uns in Geduld (nicht gerade Hettys Stärke, aber sie hält sich tapfer), trotzen abwechselnd dem Sturm an der Hafenmole und trinken Kaffee in einem der Touristenlokale. Und dann am späten Nachmittag hat es tatsächlich geklappt und wir halten sehr erleichtert den Ersatzschlüssel in Händen. Wir können aufbrechen (jetzt mit zwei Schlüsseln zur Sicherheit!).
So wie der Tag bislang gelaufen ist, nehme ich an, dass jetzt eigentlich zwangsläufig auf der endlos langen Schotterpiste zum Parkeingang ein Reifen platzen wird. Oder dass einer der herausstehenden Steine die Ölwanne aufreißt. Aber wider Erwarten passiert nichts dergleichen. Stattdessen eröffnen sich uns schon bald erste wirklich schöne Panorama-Aussichten auf das Paine-Massiv und seine vorgelagerten Seen.
Also, Patagonien, wir haben noch Hoffnung, vielleicht wird das doch noch etwas mit uns! Morgen zum Beispiel.
Und am nächsten Morgen geschieht tatsächlich so etwas wie ein kleines Wunder: als wir in aller Frühe aufwachen, zeigt sich vor unserem Hotelfenster ein wolkenloser blauer Himmel über dem Bergmassiv, und es herrscht beinahe Windstille (am gestrigen Abend hatte uns noch ein deutsches Päärchen berichtet, dass sie beim Wandern ihr Gesicht mit den Händen schützen mussten, da ihnen der Sturm alles mögliche entgegenblies)! Ich vermute, die patagonischen Meterologen werden dieses Tag in ihren Geschichtsbüchern vermelden.
Hetty und ich machen uns in bester Stimmung auf zu einer der berühmtesten Wanderungen im Park: Wir laufen gut 4 Stunden lang zu dem wohl schönsten Bergpanorama, nach dem der Park benannt wurde: den Torres del Paine. Und die Mühe lohnt sich wirklich: die „Türme des blauen Himmels“ (so die richtige Übersetzung des Namens, den ihnen die Tehuelche-Indianer gegeben haben) präsentieren sich im strahlenden Sonnenlicht – ein grandioser Anblick! Zu allem Überfluss ziehen sogar noch zwei Kondore ihre Runden hoch oben über unseren Köpfen. Anschließend geht es die gleiche Strecke 4 Stunden lang wieder zurück, aber das war es wert!
Am nächsten Morgen regnet es, und Hetty und ich bleiben den Vormittag in unserem (recht netten, aber lächerlich überteuerten) Hotel. Als der Regen nachgelassen hat, machen wir uns gegen Mittag wieder auf in den Nationalpark. Schon kurz nach dessen Eingang nehmen wir in einiger Entfernung im Pampasgras einen braunen Fleck wahr: etwa ein Puma? Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Ich nestle das Fernglas aus dem Rucksack und ja, es ist tatsächlich ein Puma, sogar ein recht stattliches Exemplar. Gemächlich schlendert er auf einer Wiese parallel zu einer Nebenpiste. Durch das Fernglas ist er deutlich zu erkennen.
„Sollen wir hinfahren?“, fragt Hetty aufgeregt.
„Wenn wir da sind, ist der doch längst verschwunden.“, entgegne ich.
Aber Hettys Jagdfieber ist entfacht: „Ich wollte schon immer mal einen Puma sehen!“
Sie gibt heftig Gas und lenkt den Wagen auf die Schotterpiste. Mir tun mal wieder die Reifen des Mietwagens leid. Als wir näherkommen, ist der Puma (natürlich) im Gebüsch verschwunden. Aber Hetty hat Blut geleckt und fährt im Schrittempo weiter die Piste entlang, den Blick auf das Gebüsch geheftet. Ich gebe dem eigentlich keine Chance, aber tatsächlich, etwa 50 Meter weiter tritt der Puma unvermittelt wieder auf die freie Fläche hinaus. Jetzt wirklich nahe. Er sichert nach allen Seiten, nimmt uns wahr, schenkt uns aber keine weitere Beachtung. Ich reiße den Fotoapparat hoch.
„Vielleicht musst Du aussteigen, um ein gutes Bild zu machen!“, zischt Hetty mir aufgeregt zu.
Ja, ne, ist klar. Wir gehen in Nordamerika erfolgreich jedem Grizzlybären aus dem Weg und jetzt lasse ich mich in Chile von einem Puma zerfleischen, dessen Fluchtdistanz unterschritten ist, weil ich plötzlich aus dem Auto springe?! Ganz bestimmt nicht! Zum Glück gelingt mir auch aus dem Auto heraus ein ganz passables Foto, bevor der Puma sich gemächlich wieder in Bewegung setzt und nun endgültig in den Büschen am Flußufer verschwindet. Hetty und ich sind von dem Erlebnis ganz beseelt, was für ein magischer Moment!
Wir nutzen den weiteren Nachmittag, um am Lago Grey mehrere kürzere Wanderungen zu unternehmen und schauen uns dort den Gletscher und die im Wasser schwimmenden Eisberge an. Auch optisch hat man jetzt den Eindruck, nicht mehr weit vom Südpol entfernt zu sein. Zumal der Regen oben auf den Bergen als Schnee heruntergekommen ist und die Gipfel weiß eingefärbt hat.
Am dritten und letzten Tag im Nationalpark wandern wir noch einmal am Fuße des Bergmassivs. Der Wind bläst jetzt wieder so stark, dass man sich mit dem ganzen Körpergewicht dagegen stemmen muss, um voran zu kommen. Unterwegs stoßen wir auf eine große Herde Guanacos, die sich durch unsere Anwesenheit in keinster Weise aus der Ruhe bringen lassen. Eine etwas trügerische Ruhe, wie ich seit unserer gestrigen Begegnung mit dem Puma finde. Aber die Aussichten sind auch jetzt wieder spektakulär. Und so verlassen wir die „Torres del Paine“ zu Mittag in Richtung Argentinien mit vielen wunderbaren Eindrücken.
Und ja, ich muss zugeben, Patagonien ist dann doch wirklich sehr, sehr schön! Sehr windig. Aber eben auch sehr schön.
Nachtrag:
Zwischenzeitlich haben wir auch genaue Anweisungen bekommen, wie man sich bei Begegnungen mit Pumas verhalten sollte (siehe Foto) – aus dem Auto steigen und hinlaufen war jedenfalls nicht dabei…
Aber wir fühlten uns gleich wieder an unsere Wanderungen mit Bärenspray im Yellowstone und Glacier Nationalpark erinnert (siehe auch „Grizzlys, überall Grizzlys!“ und „Where are the bears? – Wandern im Glacier Nationalpark“).
Views: 598
17 Comments
Het plakken en knippen vwb de vertaling is iedere keer een dingetje. En vloeiend Duits lezen dat gaat me helaas niet goed af
Maar de foto’s zien er prachtig uit!
Judith, als je de webpagina met de Google Chrome webbrowser opent kan je alle texten gewoon in het Nederlands laten zien. Dat is echt makkelijk en werkt vrij goed!
Was für ein toller Artikel! Sehr schön geschrieben!!! Und ich bin natürlich unendlich neidisch, dass ihr ein Puma gesehen habt. Wirklich großartig
… und Du schreibst ganz wunderbar, Hartwig! Habe mich köstlich amüsiert. Vielen Dank, dass Ihr uns so lebhaft und mit so wunderschönen Bildern an Eurer Reise teilhaben lasst. Ich freue mich immer, wenn ein neuer Blog-Eintrag von Euch erscheint, und verschlinge ihn, sobald sich die Gelegenheit bietet.
Was habt Ihr schon alles gesehen und erlebt seit Beginn Eurer Reise! Wir wünschen Euch weiterhin so viel Glück wie bisher und eine traumhaft schöne Zeit.
Liebe Grüße aus dem momentan nicht minder stürmischen Rheinland!
Hallo Corinna! Vielen Dank, wir freuen uns, dass Ihr dabei seid und mitlest! Liebe Grüße aus Argentinien!
Hallo Hetty, hallo Hartwig,
auch ich musste (mal wieder) bei einer eurer facettenreichen und viele Bilder in den Kopf zaubernden Geschichten viel schmunzeln.
Spannend, was ihr so alles erlebt!
Und Patagonien hat zum Glück wirklich wunderschöne Landschaften. Oder eben auch einfach gut vom Fotografen in gewohnter Manier in Szene gesetzt 🙂
Das mit dem Puma ist wirklich etwas ganz Besonderes!
Und damit Du auf diesem Blog auch Gutes über das Land schreiben kannst, hat sich das Schicksal einfallen lassen, dass ihr beide am windigsten Tag eben eine kleine Pause beim Warten auf den Ersatzschlüssel einschiebt…
Liebe Grüße und ganz viel Spaß weiterhin!!
Ja, letztendlich hat so alles ganz gut funktioniert, nur während man so neben dem Auto steht und nicht weiß, wie das Ganze ausgehen wird, ist man doch ein wenig angespannt… Aber: „Hinterher ist es eine gute Geschichte!“ (mittlerweile ein geflügelter Ausdruck bei uns in der Familie)
Boah, ihr beiden, was für großartige Eindrücke, an denen ihr uns teilhaben lasst. Diese Bilder sind wirklich atemberaubend – die Geschichten dazu natürlich auch. Herrlich!
Bei der Autogeschichte kann ich (leider) mithalten: Sind nach einer Woche Urlaub in HH gestrandet, nachdem Pannendienst 1 unsere blockierten Bremsen wieder fitgemacht und Pannendienst 2 uns mit defekter Kupplung von der A7 wieder zurück nach Fuhlsbüttel geschleppt hat – großes Kino mit zwei Senioren bei Sturm in absoluter Finsternis über die Leitplanken der Autobahn zu klettern und dort ne Stunde auf den Abschlepper zu warten. Acht Stunden nach der Landung waren wir dann mit dem Taxi endlich zu Hause. Unser Auto steht immer noch in HH … und ich fahre Bus, weil die Rentner vor Weihnachten so viel Termine haben (und ratet mal, wer deswegen ALLE Geschenke kaufen muss – mit dem Bus? Richtig!) Ach, und ein wildes Tier habe ich gestern auch getroffen. Einen Fuchs!
Haha, Uli, Du Arme! Alles, was mit Weihnachten zu tun hat, wirkt für uns hier ganz weit weg. Hoffentlich ändert sich das noch, wenn die Kinder kommen!
Oh, Du meine Güte! Ich bin ja schon fix und fertig beim Lesen :))! Die Geschichte mit dem Schlüssel ist ja so fies! Ich habe mit gefiebert!
Und dann so schöne Erlebnisse und Photos als Ausgleich- einfach unglaublich!
Ich müsst unbedingt ein Buch schreiben, es liest sich so herrlich! Es bringt wirklich Spaß, Eure Reise mitzuerleben!
Viele liebe Grüße und Euch viel Glück weiterhin!!
Mooi verhaal. Ik ben blij dat je het advies van Hetty om uit de auto te springen niet hebt opgevolgd. Lijkt me fantastisch om een poema te zien. Fijn dat Patagonië uiteindelijk heeft gebracht wat jullie ervan verwachtten.
Je kunt echt mooi schrijven! Google maakt er soms alleen kromme zinnen van, maar zo schrijf ik zelf ook, dus google en ik begrijpen elkaar. 😉
Bijzonder avontuur…
What a beautiful place and such a lucky sighting of the Puma. Of course the car problems make for a great story afterwards! I bet you are looking forward to seeing your family soon. Hope you have a great Christmas!
Thanks for your comment, Marsha – we also wish you and Dan a merry christmas and a very happy new year (hopefully still in the UK and not permanently in Costa Rica…!)
Da bekommt man ja Lust, sofort die Taschen zu packen, nach Chile zu fliegen, eine Mietwagen mit 2 Schlüsseln zu nehmen, und auf Puma Safari nach Patagonien zu fahren. Bitte mehr davon.
Ich wünsche euch schöne Feiertage im fernen Süden.
Hallo Heiko! Es freut mich, wenn es uns gelingt Reiselust zu wecken! Dir ebenfalls eine schöne Weihnachtszeit und viele Grüße aus Chile!
Aha, begrijp ik dat de omslag naar de ‚geduldige Hetty‘ hier is begonnen? Als je zo lang op een sleutel moet wachten in zo’n prachtige omgeving…
Nooit verwacht trouwens dat je in zo’n omgeving een puma kunt (en durft) besluipen. Heb je die dappere daad ook op foto vastgelegd Hartwig?