Eigentlich läuft mit unseren Vorbereitungen alles sehr gut: große Teile unserer To-do-Listen sind bereits abgearbeitet und seit ein paar Tagen haben sich auch Mieter für unser Haus gefunden: eine amerikanische Familie mit drei Kindern wird während unserer Abwesenheit einziehen. Aber dann kommt wie aus dem Nichts die nächste Panikattacke:
Gestern Abend wollten wir uns an eine grobe Planung unserer erste Reisestation Rocky Mountains machen: was gibt es unterwegs zu entdecken, welche Route bietet sich an, usw. Aber dann stößt Hetty in einem Reiseführer auf ein Kapitel namens “Bear Country” und plötzlich sieht sie überall nur noch Grizzlybären! Sowohl im Yellowstone als auch im Glacier Nationalpark gäbe es ein immenses Bärenproblem, glaubt sie herausgefunden zu haben, und eigentlich könne man nirgendwo mehr frei wandern, ohne dass man akut Gefahr laufe, von einem Grizzly aufgefressen zu werden. In den letzten paar Jahren seien sowohl Wanderer als auch Mountainbiker im Yellowstone und Glacier Nationalpark von Grizzlys angefallen und getötet worden. Also, dorthin würde sie keinen Fuß setzen! Auf gar keinen Fall!
Ich versuche es mit Statistik, Hetty kontert mit Gefühl.
Ich versuche sie daran zu erinnern, dass es ursprünglich ihre Idee war, die Reise mit dem Yellowstone Nationalpark zu beginnen, stoße aber (natürlich) auf taube Ohren. Also versuche ich es mit rationellen Erwägungen. Die tatsächliche Zahl der tödlichen Grizzly-Attacken ist schnell gegoogelt: in der gut hundertjährigen Geschichte des Glacier Nationalparks hat es 10 tödliche Bärenangriffe gegeben bei momentan 2,3 Millionen Besuchern im Jahr. Ich versuche einen statistischen Vergleich zu Todesfällen auf deutschen Autobahnen zu ziehen, scheitere aber an Hettys Gefühlslage:
“Ich habe dann aber beim Wandern kein gutes Gefühl, wenn hinter jedem Busch ein Grizzly lauern kann!”
Und wenn Hetty sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist sie nur sehr schwer wieder davon abzubringen:
“Wir können doch auch nach Süden fahren, zum Bryce Canyon oder so. Toll zum Wandern und keine Bären!”
Nun waren wir bereits zweimal in den zugegebenermaßen sehr schönen Nationalparks in Utah und Arizona, und irgendwie habe ich keine Lust, unsere Pläne aufgrund nur sehr oberflächlich recherchierter irrationaler Befürchtungen sausen zu lassen. Also versuche ich es weiter:
“In Amerika ist doch alles immer doppelt und dreifach abgesichert. Da kann McDonalds auf Schadenersatz verklagt werden, weil sie keinen Warnhinweis auf ihre Kaffeebecher gedruckt haben, dass man sich am Heißgetränk die Zunge verbrennen kann. Da werden die Ranger in den Nationalparks doch extra gut auf die Sicherheit der Besucher achten.”
Es folgt gemäß langjährig erprobter Abfolge unserer gemeinsamen Streitkultur die nächste Eskalationsstufe: passive Aggressivität. Hetty schnaubt kurz aus und dann kommt:
“Gut, du willst da unbedingt hin. Dann machen wir das. Aber dann setze ICH KEINEN Fuß vor die Autotür.”
Währenddessen suche ich auf der Website des National Park Services und werde fündig – leider nicht hilfreich für meine Argumentation, wie sich herausstellt: Unter dem Stichwort “Bear Encounters” finden sich genaue Handlungsanweisungen für den Fall des Zusammentreffens mit einem Grizzlybären (die Schwarzbären scheinen ungleich ungefährlicher zu sein):
Auf Wanderungen solle man durchgehend möglichst viel Lärm machen, damit man die Bären nicht überrascht. Überrascht man doch einen, solle man auf gar keinen Fall dem Fluchtreflex nachgeben und wegrennen. Dies würde den Beutetrieb der Bären triggern und man habe keine Chance bei einer Verfolgung zu entkommen, Grizzlys seien viele Male schneller als Menschen. Auch auf einen Baum zu klettern sei keine Option, sie könnten ebenfalls klettern. Stattdessen solle man stehenbleiben (“Hold your ground”), beruhigend auf den Bären einsprechen und hoffen, dass er sich trollt. Und wenn er doch angreifen würde, solle man das sowieso immer bei sich zu führende Anti-Bären-Spray einsetzen (und da sprechen wir jetzt nicht von so einem kleinen CS-Gas-Fläschchen, sondern eher von einem Gerät in der Größe eines kleinen Feuerlöschers). Und wenn auch das nichts hilft: auf den Boden schmeißen, die Hände zum Schutz in den Nacken und die Beine ausbreiten. Wenn der Bär dann versuche, einen auf den Rücken zu drehen, dieses möglichst verhindern (wie das??). Und dann als letzte Anweisung, wenn gar nichts mehr hilft, man auf dem Rücken liegt und der Grizzly über einem ist: “FIGHT BACK!” (wie soll das aussehen? Ein Klaps auf die Schnauze…?? * ). https://www.nps.gov/glac/planyourvisit/bears.htm
Okay, gut zu wissen, aber nicht gut für Hettys Gefühl. Ich verschiebe erstmal die weitere Diskussion.
Und dann kommt plötzlich Hilfe aus gänzlich unerwarteter Ecke: Hetty geht zwischenzeitlich ihrem neuesten Hobby nach, der Suche nach schönen Reise-Unterkünften auf der Airbnb-Webseite. Und wie der Zufall es will, findet sie ausgerechnet kurz vor dem Eingang zum Glacier Nationalpark ein entzückendes kleines Tinyhouse, wie gemacht für uns zwei, und schwupps!, sind alle Bedenken bezüglich der angrenzenden Grizzly-Population in den Hintergrund getreten und einem Besuch der Parks wie ursprünglich geplant steht nichts mehr im Wege – so einfach kann’s gehen…
P.S.: Solltet Ihr so ungefähr ab Mitte September hier keine neuen Blog-Einträge mehr finden, dann hat es wahrscheinlich mit dem “Fight back!” letztendlich doch nicht funktioniert… 🙂
Fun Fact am Rande: Ein Mann hat einen Grizzly-Angriff im Glacier-Nationalpark überlebt, weil er sich an den Rat seiner Oma erinnerte, dem Bären die Faust tief ins offene Maul zu rammen, weil diese angeblich über einen sehr empfindlichen Würge-Reflex verfügen. Das soll ihn gerettet haben. https://www.welt.de/vermischtes/article147393478/Mann-stoppt-Grizzly-mit-der-blossen-Faust.html
3 Comments
Geweldig en mooi beschreven. Ik heb dit verhaal namelijk ‘live’ van Hartwig gehoord, kort nadat dit zich heeft afgespeeld. Op de achtergrond hoorde Hetty dat Hartwig mij het grizzly verhaal vertelde en sprak niets van wat Hartwig vertelde tegen. Kortom, Zo gaan dus werkelijk de voorbereidingen voor dit fantastische avontuur . Ik wens jullie ontzettend veel plezier toe de komende tijd.
Groetjes Richard.
Hartelijk bedankt, Richard, wij verheugen ons om jullie te zien in Argentinie!
Grizzlybären verschwinden wohl auch schnell wieder, wenn man aich tot stellt mit Gesicht auf dem Boden. Aber Ihr werdet sicher viele Songs fürs laute Singen beim Wandern im Petto haben. Tolles Tinyhouse, da hab auch ich alles vorher gelesene glatt wieder vergessen 😉
Auf zu Eurem tollen Abenteuer und eine unvergesslich schöne 10 Monatsreise