
Eine Pechsträhne an der Westküste
13. November 2025Auf dem Weg von Perth an die Südküste passierten wir den sogenannten „Wheatbelt“ von Australien. Riesige Getreidefelder erstrecken sich hier bis zum Horizont. Weizen, so weit das Auge reicht. Alles Land gehört zu riesigen Farmen. Entsprechend gut ausgebaut ist auch die Infrastruktur. Die Landstraßen sind wie mit dem Lineal gezogen, gehen vorzugsweise geradeaus bis zum Horizont und sind nahezu überall asphaltiert. Insofern unterscheidet sich dieser Landstrich stark vom Outback. Das heißt aber nicht, dass die einzelnen Ortschaften nicht ebenso weit voneinander entfernt und damit ausgesprochen einsam und abgelegen sind. Hetty und ich sind während dieser Reise durch viele dieser kleinen Dörfer gekommen und haben uns dann immer gefragt, was für Leute da wohl wohnen und was für ein Leben sie in dieser Abgeschiedenheit führen mögen.
Varley: Latitude: -32.7942187 Longitude: 119.5112896

Einer dieser abgelegenen Orte ist Varley. Die kleine Siedlung an der State Route 40 irgendwo im Nirgendwo zwischen Perth und der Südküste besteht aus zwei Straßen hoch und zwei Straßen quer. Varley ist so klein, dass es nicht mal über eine eigene Tankstelle verfügt. Die mit Weizen beladenen Roadtrains, die hier unentwegt entlang donnern und die paar flach gebauten Häuser immer wieder in Staubwolken hüllen, müssen ihren Tank woanders auffüllen. Was kann man also tun, um ein solches Örtchen irgendwie am Leben zu erhalten? Man setzt auf Tourismus! Klingt komisch, ist es auch.
Aber genau so ist es gekommen: man beschloss, aus dem kleinen Community-Grillplatz mit Picknick-Tischen am Dorfrand einen kostenlosen Campingplatz für durchreisende Touristen zu machen. Man baute ein Toilettenhäuschen, erweiterte es um eine Außendusche und setzte in die Mitte des Platzes einen kleinen Wellblechverschlag, der als Camping-Küche dienen sollte. Und dann verpasste man dem Ganzen den wohlklingenden Namen „Varley Chicken Ranch“.
Und genau auf diesen Platz war Hetty gestoßen, als sie getrieben von der bei ihren niederländischen Landsleuten so verbreiteten Sparsamkeit nach einem kostenlosen Übernachtungsplatz gesucht hatte. Als wir dort am späten Nachmittag ankamen, hatte sich der kleine Platz bereits mit drei Wohnwagen-Gespannen und einem Wohnmobil gefüllt, aber wir ergatterten für unseren Geländewagen noch einen kleinen Platz am Rande. Wir besichtigten die Camp-Küche, die rustikal aber liebevoll eingerichtet war mit Tisch, Plastikstühlen und Kunststoffblumen, einer Spüle, Mikrowelle, Wasserkocher und sogar einem kleinen Bücherregal mit Taschenbüchern und Zeitschriften. An den nackten Blechwänden hingen zahlreiche liebevoll gestaltete Notizen von Reisenden, die sich für den Aufenthalt auf der Chicken Ranch bedankten.

Direkt von unserem Stellplatz aus wiesen gleich eine ganze Reihe von Schildern den Weg zum etwas hochgegriffen „General Store“ genannten Dorf-Laden zwei Straßen weiter. Offenbar wollte man sichergehen, dass wir Reisende auch unseren Beitrag zum Überleben von Varley leisteten. Als wir also folgsam den Laden betraten, läutete eine Glocke und aus einem Hinterzimmer erschien die kräftig gebaute Verkäuferin mit einem großen Stück Kuchen in der Hand, platzierte sich kauend hinter der Kasse und musterte uns neugierig. Ich fragte, ob wir hier wohl die Gasflaschen für unseren Kocher auffüllen könnten. Nein, konnten wir nicht. Um dennoch zumindest für einen Minimal-Umsatz zu sorgen, nahmen wir uns eine Dose Mückenspray aus dem Regal und zwei Eis aus der Truhe (mit zweifelsohne lang überschrittenem Haltbarkeitsdatum). Beim Bezahlen fragte ich neugierig:
„Is there actually anything else in this place besides your store?“ – „Nope.“, war sie schnelle Antwort.
„How many people live here?“ – Sie dachte kurz nach, zuckte dann mit den Schultern „I don’t know. Ten?“ Offenbar war es eine grobe Schätzung.
„Well, at least you have this nice little campsite!“, fügte ich aufmunternd lächelnd hinzu.
„Yes, they put a lot of effort into it.“, nickte sie.
Wer auch immer diese „they“ gewesen waren, die Verkäuferin hatte zweifelsohne recht. Wie wir bei der sich anschließenden genaueren Inspektion der „Ranch“ festellen konnten. Denn offenbar hatte man sich Sorgen gemacht, dass der Campingplatz alleine nicht als Touristenmagnet ausreichen würde. Und da Varley nicht nur an der State Route 40 lag, sondern auch direkt neben dem Kaninchenschutzzaun („Rabbit Proof Fence“), nahm man sich dieses Themas an. (Der Zaun wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut und erstreckt sich über eine Länge von 1830 Kilometern ganz vom Norden Westaustraliens bis zur Südküste und sollte die Ausbreitung der eingeführten Kaninchen verhindern, die sich zu einer Plage entwickelt hatten). Ich weiß nicht, ob man sehr viel Alkohol getrunken hatte oder ob es die pure Verzweiflung darüber war, dass man in Varley beim besten Willen so gar nichts anderes von Bedeutung finden konnte. Jedenfalls musste es diesen einen Moment gegeben haben, in dem jemand vorgeschlagen hatte: „Lasst uns einen Friedhof für die armen Kaninchen bauen, die am Zaun gestorben sind. Und zwar auf der Chicken Ranch. Für die Touristen.“ Und alle anderen mussten es damals für eine gute Idee gehalten haben.

Und so stellten Hetty und ich also fest, dass wir unser Lager direkt neben einem Kaninchenfriedhof aufgeschlagen hatten, den man als besondere Touristenattraktion angelegt hatte. Hinter einem kleinen ehemals weißen Holzlattenzaun reihten sich zahlreiche kleine Gräber, die mit Stofftieren und Kaninchenskulpturen dekoriert waren. Manche Dinge sind zu bizarr, um sie sich auszudenken.
Ich bin mir nicht sicher, ob man es aus diesem Text herausliest. Aber ich habe wirklich eine Schwäche für diese abgelegenen Siedlungen, an denen seine Bewohner alles tun, um das Beste aus ihrer Situation zu machen. Es braucht einen ganz besonderen Schlag Menschen, um an dieser Abgeschiedenheit auszuharren und ungeachtet aller widrigen Umstände den Laden am Laufen zu halten – so wie unsere Verkäuferin im General Store von Varley!
Stokes Nationalpark: Achtung, Schlangen!

Unser erstes Lager an der Südküste schlugen wir in dem kleinen, aber feinen Stokes Nationalpark auf. Er liegt am Stokes Inlet, einer großen Flussmündung, in der sich Süßwasser und Meerwasser vermischen. Sein Ufer wird von bizarr wirkenden, teilweise abgestorbenen Bäumen gesäumt, die wie in einem surrealen Gemälde ihre weißen toten Äste bleich in den Himmel strecken.
Die Campingplatz war sehr einfach aber zugleich sehr schön angelegt. Eine Nationalpark-Mitarbeiterin nahm uns am Eingang in Empfang und kontrollierte unsere Buchung. Wir ergriffen die Chance und erkundigten uns nach den Aktivitäten, insbesondere Wanderungen im Park. Dabei fragten wir auch nochmal nach Schlangen, da wir bereits Warnschilder gesehen hatten. Sie meinte, es gäbe Tigersnakes im Park. In den letzten Wochen seien Besucher zweimal auf welche gestoßen, aber sie (die Schlangen) seien scheu und würden das Weite suchen, wenn sie Menschen bemerkten.

Also brachen wir kurz darauf nur so halb beruhigt zu einer Wanderung auf. Es dauerte allerdings nur wenige Minuten, da huschte doch tatsächlich vor Hettys Füßen eine Schlange über den Pfad und verschwand im Unterholz. Und wenn es sich dabei tatsächlich um eine Tiger Snake gehandelt hat, dann ist Hetty bei ihrer ersten Schlangenbegegnung gleich auf eine der zehn (tödlich) giftigsten Schlangenarten Australiens gestoßen! Aber Hetty blieb bewundernswert unbeeindruckt und wanderte tapfer weiter.
Esperance: Strände, Strände und noch mehr Strände

Nach einer Nacht in schlangensicherer Höhe im Dachzelt unseres Geländewagens hatten wir uns in Esperance mal wieder ein festes Dach über dem Kopf geleistet und eine kleine Airbnb-Wohnung angemietet. Der 10.000-Einwohner-Küstenort ist vor allem für seine zahlreichen und wunderschönen Strände bekannt. Vom Ortszentrum aus (in dem es natürlich auch einen Strand gibt) führt ein Panoramaweg, der sogenannte „Great Ocean Drive“, entlang aller der Stadt vorgelagerten Strände. Und das sind nicht weniger als acht, einer schöner als der andere. Und an jedem gibt es natürlich Spazierwege und Aussichtspunkte, die alle der Reihe nach „abgearbeitet“ werden wollen. Das kann sich bei allem Enthusiasmus für den schneeweißen und puderfeinen Sand sowie das türkis- bis tiefblaues Wasser mit Wellen jeglicher Größe und Stärke dann doch etwas hinziehen. Und während ich noch bei jedem Stopp entlang der Route in der Hoffnung auf ein jeweils noch besseres Strandfoto ausstieg und fotografierend herumlief, hatte Hetty es derweil beim fünften Strand aufgegeben und blieb mit ihrem E-Book im Auto sitzen….

Aber es gibt ja von allem immer noch eine Steigerung. Und das war in diesem Fall wohl „Lucky Bay“, der berühmteste Strand von allen im nahegelegenen Cape-Le-Grand Nationalpark. Dorthin unternahmen wir einen Tagesausflug. Eigentlich hatten wir geplant, dort auf dem sehr schön am Strand gelegenen Campingplatz zu übernachten, aber dieser ist quasi immer schon mindestens ein halbes Jahr vorher ausgebucht, wie wir vor Ort erfuhren.

Der Strand in der Bucht ist nicht nur unglaublich groß und schön, sondern wie so viele in Australien auch mit dem Auto befahrbar. Das wirkt für uns Europäer ersteinmal etwas befremdlich. Aber „der Australier an sich“ (ich liebe diese Formulierung! 😉 ) nimmt wohl einfach gerne sein Auto mit an den Strand und stört sich offenbar auch nicht an dem daraus resultierenden regen Verkehr. Also ließ ich mich von den zahlreichen Geländewagen ebenfalls nicht stören und sprang doch zumindest einmal ins wirklich unglaublich schöne und glasklare Wasser. Haie hin oder her.

Stirling Range Nationalpark: Der schönste Sonnenuntergang der Reise
Der küstennahe Stirling Range Nationalpark bildete die nächste Station unserer Reise entlang der Südküste. Er wird geprägt von einer kleinen, etwa 65 Kilometer lange Bergkette, die sich aus der ansonsten weitgehend flachen Umgebung erhebt. Der höchste Gipfel ist mit immerhin 1099 Metern Höhe der Bluff Knoll, zu dem eine sehr schöne Bergwanderstrecke hinauf führt.
Hettys Fuß hatte sich glücklicherweise in der Zwischenzeit wieder einigermaßen erholt, so dass sie sich die Besteigung zutraute. Gut 3 1/2 Stunden dauerte die Wanderung und unterwegs pfiff uns ein ganz schön kühler Wind um die Ohren. Nach den Temperaturen von über 40 Grad im Outback eine starke Abwechslung! Aber für die Mühe wurden wir mit grandiosen Ausblicken auf die uns umgebenden Gipfel der Range belohnt.

Abends fuhren wir auf den Bushcampingplatz gleich vor den Toren des Nationalparks. Noch rechtzeitig für einen kleinen Spaziergang zum Sonnenuntergang. Von einer Wiese vor dem Camp aus hatte man eine schöne Aussicht auf die Berge der Stirling Range, hinter denen die Sonne untergehen würde. Es hatten sich einige lose Wolken um die Sonne gebildet und so hofften wir auf ein besonders schönes und kräftiges Farbenspiel.
Als wir an der Wiese ankamen, war sie von einer ganzen Herde Känguruhs bevölkert: Männchen, Weibchen und Jungtiere bunt durcheinander. Glücklicherweise ließen sie sich von unserer Anwesenheit kaum stören. Ich hatte auf dieser Reise schon viele Sonnenauf- und untergänge fotografiert. Aber hier ergab sich die Chance, Känguruhs und untergehenden Sonne in einem Bild zu kombinieren! Und so zückte ich die Kamera, umrundete die Herde und brachte mich in eine entsprechend günstige Position zum Fotografieren.

Und während die Sonne den Himmel in immer schönere Farben tauchte und ich diverse Aufnahmen von den Tieren machte, kam auch noch das entscheidende Quäntchen Glück dazu: kurz bevor die Sonne ganz hinter dem Horizont verschwand, begannen zwei junge Känguruhs einen spielerischen Kampf und bäumten sich direkt vor der Sonne auf. Klick! Ich drückte den Auslöser und fing die Situation ein – für mich ein fast schon surrealer Gänsehautmoment!
Und an dem Abend legte ich mich fest: das musste der schönste Sonnenuntergang dieser Reise gewesen sein. Und eine der schönsten Begegnungen mit diesen faszinierenden Tieren!


Hettys Perspektief
Sharks and Snakes and beautiful Beaches!

Ich bin eigentlich gar kein Strandmensch, meckere ich ein wenig zu Hartwig. Was soll ich dort Stunden lang machen, ich langweile mich, es ist zu heiß, es ist zu windig, ich habe überall Sand… Und jetzt kommt noch dazu, dass überall an den Stränden große Schilder mit Schlangen- und Hai-Alarm stehen. Zwei Tiere, die ich beide nicht besonders mag. Außerdem gibt es riesige Anlagen mit Sirenen, die bei Sichtung eines Hais die ganze Küste entlang heulen. Noch mehr Gründe, nicht an den Strand gehen zu wollen.

Aber schön sind die Strände, wunderschöner weißer Sand, große grüne Dünen und azurblaues Wasser. Außerdem sind fast keine Menschen da, weil es so viele Strände gibt. Also machen wir Strandspaziergänge, die wunderschön sind. Herrlich, mit den Füßen in der Brandung, am blauen Meer entlang zu laufen, den Wind in den Haaren und einfach zu genießen. Wenn es dann auch noch einen Foodtruck mit Kaffee gibt, bin ich rundum glücklich. Ab und zu sitze ich mit meinem Buch am Strand und Hartwig planscht ein bisschen im Wasser, auch ein guter Kompromiss. Wir haben übrigens keine Haie gesehen, aber Delfine ganz in der Nähe der Küste. Wenn diese also ganz nah an die Küste kommen können, dann können Haie das auch. In Südaustralien kommt es regelmäßig zu Haiangriffen. Meine Angst ist also nicht unbegründet.
Esperance ist als Stadt nicht besonders groß: eine Hauptstraße, eine wunderschöne Promenade entlang der Küste, einige Geschäfte und natürlich der Great Ocean Drive. Diese Straße ist 40 Kilometer lang, davon sind mindestens 25 Kilometer Strand. Alle sind wunderschön, einsam und haben einen Namen. Twilight Beach, Lucky Bay, West Beach, Plumpudding Beach, und wenn ihnen keine Namen mehr einfallen, dann heißt es einfach 10 Mile Beach, 14 Mile Beach. Es gibt dort wirklich unendlich viele. Wenn Ihr also echte Strandmenschen seid, dann fahrt nach Südwestaustralien!
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4 Comments
Varley kenne ich nicht, klingt aber spannend. Esperance und Stirling Range Nationalpark hingegen schon und kann euren Worten nur zustimmen. Mega tolle Bilder, vielen Dank! Ich wünsche euch weiterhin eine gute Reise!
Danke Dir, Daniel! Ich freue mich über Dein Lob! 🙂
Wat weer een waanzinnig mooie foto’s vrienden. Echt ongelooflijk en dan probeer ik met voor te stellen hoe het daar in werkelijkheid is.
Het is jullie gegund ☺️
Bedankt, Richard! Maar de foto’s laten natuurlijk alleen de mooie momenten zien. Vandaag regent het pijpenstelen, dus kamperen in een daktent is dan iets minder leuk… 😉