
Tasmanien im Frühling: das Gegenteil von Overtourism
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Fotogalerie Tasmanien
24. Oktober 2025„Hartwig, ich glaube, wir haben die falsche Entscheidung getroffen!“
Es war drei Uhr nachts, als Hettys verzweifelte Stimme mich weckte. Wir lagen eingemummelt in dicke Schlafsäcken in einer winzigen Kammer in einer Berghütte mitten im Cradle Mountain Nationalpark. In dieser Nacht hatte Hetty vor Schmerzen noch kein Auge zu gemacht.
„Ich weiß nicht, ob ich weitergehen kann. Vielleicht müssen wir doch den Helikopter holen?“
Rückblende:
Der Overland Track, der berühmteste und spektakulärste Fernwanderweg Tasmaniens und einer der „great walks of Australia“. Die 65 Kilometer lange und 6 Tage dauernde Wanderung durch den Cradle Mountain – Lake St. Clair Nationalpark hatte einer der Höhepunkte unserer Australien-Reise werden sollen. Aber kurz bevor es losgehen sollte, plagten Hetty doch wieder Schmerzen im rechten Fuß und linken Knie – Nachwirkungen ihrer Hüttenwanderung durch Norwegen wenige Wochen zuvor (siehe auch „Hardangervidda Crossing„). Bis zuletzt hatten wir versucht, sie durch Schonen, Salben und Bandagen wieder fit zu bekommen. Aber es hatte nicht gereicht. In ihrem Zustand würde sie die anspruchsvolle Gebirgswanderung nicht absolvieren können. Aber so ganz aufgeben wollten wir noch nicht.
Unmittelbar vor Beginn der Wanderung besprachen wir mit dem Wanderveranstalter in Launceston einen Plan B: eine der Hütten, in der wir die zweite Nacht der Tour hätten verbringen sollen, war im Winter einem Buschfeuer zum Opfer gefallen. Daher sollte die Wandergruppe am Ende des 2. Tages für eine Übernachtung in ein Hotel am Parkeingang zurückkehren. Damit hätten sie die beiden schwersten Tagesetappen der Wanderung hinter sich gebracht. Und wir könnten nach zwei weiteren Ruhetagen entscheiden, ob wir zu diesem Zeitpunkt für die verbliebenen vier Tage in die Wanderung einsteigen würden, wenn Hettys Fuß es zulassen würde.
Cradle Mountain National Park
Gesagt, getan. Wir quartierten uns in dem Hotel ein und besuchten erstmal den Nationalpark so, wie es die meisten Touristen taten: indem wir mit einem Shuttlebus zu verschiedenen Örtlichkeiten am Fuß des Cradle Mountain fuhren und dort möglichst schonend kleinere Spaziergänge machten. Und auch hier war die Landschaft schon sehr malerisch: Bergmassive, Regenwälder, Seen und Bäche wechselten sich ab. Und dazwischen Wallabies und vor allem unzählige Wombats, die schnell zu unseren erklärten Lieblingen wurden.

Lediglich das Wetter war reichlich kalt, stürmisch und immer wieder regnerisch. Kein Wunder: der vergangene Winter war der kälteste in Tasmanien seit 1964 gewesen. Oft sahen wir hoch zu den tiefhängenden Wolken und dachten an unsere Wandergruppe, die sich oben in den teilweise noch schneebedeckten Bergen durch den Sturm kämpfte. Der Nationalpark ist berüchtigt für sein unkalkulierbares und schnell umschlagendes Wetter. Und das ist beileibe nicht ungefährlich. Wenn man sich ohne die passende Ausrüstung dort in die Berge begibt, kann es schnell lebensgefährlich werden. Erst wenige Wochen zuvor war eine chinesische Touristin dort oben an Unterkühlung gestorben, weil sie mit unzureichender Bekleidung in einen Schneesturm geraten war.
Und so kamen die anderen sechs Wanderer unserer Gruppe am Ende der zweiten Tagesetappe auch reichlich abgekämpft und müde zum Hotel zurück, wo wir sie wiederum gänzlich ausgeruht und vergnügt in Empfang nahmen. Hettys Fuß und Knie schienen die zwei zusätzlichen Ruhetage gut getan zu haben, und so trafen wir die Entscheidung, die verbliebenen vier (und vermeintlich sehr viel leichteren) Tage der Wanderung mitzumachen.
Zelt und Kocher oder Privathütte all inclusive?

Der Overland Track kann grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten bewandert werden: entweder auf eigene Faust mit Übernachtungen in öffentlich zugänglichen, aber äußerst karg eingerichteten Hütten bzw. Zeltplätzen oder aber mit einem Wanderveranstalter, der im Nationalpark eigene und weitaus komfortablere Hütten betreibt. Und dort für die Verpflegung sorgt, so dass man nur seine persönliche Ausrüstung im Rucksack tragen muss. Wir hatten uns für die zweite Variante entschieden.

Und so machten wir uns also am folgenden Tag frohen Mutes auf, und stiegen mit den beiden Guides Aaron und Mahalia und den anderen Wanderern zusammen wieder auf den Track ein. Die (für uns) erste Tagesetappe führte uns bei anfänglich noch schönem Wetter 14 Kilometer weit durch Wälder und Hochebenen vorbei am Mount Oakleigh. Gut 600 Höhenmeter waren an diesem Tag zu überwinden. Allerdings wurde dabei schnell klar, dass die Beschaffenheit der Wege doch deutlich schwieriger war, als wir es uns für Hetty erhofft hatten: die Pfade waren auf weiten Strecke geprägt von tiefem Matsch und großen Pfützen, dazu übersät von Wurzeln und groben Steinen. Schnell begannen Hettys Fuß und Knie wieder heftig zu schmerzen. Sie biss die Zähne zusammen und zog durch.
In der gut beheizten Hütte wurden wir dann abends von unseren beiden Wanderführern liebevoll versorgt und bekocht. Das ließ die Anstrengungen vorerst in den Hintergrund treten. Diese privaten Hütten werden von Helikoptern mit allen notwendigen Lebensmitteln beliefert, selbst Wein stand jeden Abend auf dem Tisch. Und da es sich um einen Nationalpark mit besonderen Vorschriften handelt, fliegen die Hubschrauber zweimal im Jahr dann auch die in einem Tank gesammelten Fäkalien wieder aus dem Park heraus. Und bei medizinischen Notfällen fliegen sie natürlich auch Rettungseinsätze für Kranke und Verletzte. Dafür besaß jede Hütte ihr eigenes Helipad.
Und als bei Hetty in der folgenden Nacht die Schmerzen wieder so stark wurden, dass sie nicht schlafen konnte, dachten wir über ernsthaft darüber nach, ob wir die Wanderung nicht doch besser abbrechen sollten. Am nächsten Morgen hatten die Schmerzen dann etwas nachgelassen, waren aber weiterhin deutlich spürbar. Wir besprachen mit Aaron den Schwierigkeitsgrad der nächsten Tagesetappe, die deutlich einfacher werden sollte. Es würden nur 8 Kilometer und 300 Höhenmeter sein. Also beschloss Hetty, doch weiter zu wandern. Wir bandagierten ihren Hettys Fuß, sie nahm einige Schmerztabletten und weiter ging es.
Winter im Japanese Garden
Nach einem Aufstieg zu einem Paß (dem Pelion Gap) teilte sich die Gruppe. Ich machte mit einigen anderen einen zusätzlichen Abstecher. Aaron wollte uns eine besondere Stelle in den Bergen zeigen, die aufgrund ihrer speziellen Vegetation „japanese garden“ genannt wurde. Hetty ging mit dem Rest der Gruppe bereits auf direktem Wege voraus zur nächsten Hütte.

Wir anderen machten uns auf, als uns nach wenigen Minuten plötzlich einer der berüchtigen Schneestürme erwischte. Wie aus dem Nichts kam heftiger Wind auf und es begann in dicken Flocken zu schneien. Schnell war der Boden von einer durchgehenden Schneedecke bedeckt. Auf dem Pfad aber bildeten sich an vielen Stellen eisige Schneematschpfützen, die das Gehen zusätzlich erschwerten. Gleichzeitig entwickelte sich um uns herum aber auch eine ganz eigene, fast surreale winterliche Stimmung, die wir dank unserer dicken und winddichten Kleidung durchaus genossen! Zumal wir wußten, dass nur kurze Zeit später eine vorgeheizte Hütte mit gut funktionierendem Trockenraum und einem herrlichen Abendessen auf uns warten würde.


Hetty war dort mit den anderen schon am frühen Nachmittag angekommen und hatte die Gelegenheit genutzt, ihr Bein auf einer der bequemen Couchen hochzulagern.
Als wir anderen nachkamen, hatte sich der Schnee bereits wieder verzogen und einem strahlend blauen und sonnigen Himmel Platz gemacht. Von der Terasse der Hütte genossen wir so einen wunderschönen Ausblick auf das beeindruckende Massiv von Cathedral Mountain in direkter Nähe.

Der nächste Tag wartete wieder mit reichlich Regen auf. Häufig hatte man das Gefühl, eher durch einen Bach zu waten als auf einem Wanderpfad zu laufen. Und wie wir so mit eingezogenen Köpfen unter Regenkapuzen durch die Gegend stapften, mussten Hetty und ich uns beide immer wieder selber ermahnen, zwischendurch auch mal innezuhalten und die unglaublich schöne Natur um uns herum zu genießen.
Heute führte der Weg u. a. durch den ältesten Wald des Nationalparks mit bis zu 2000 Jahre alten Pinien und entlang des Mersey Rivers. Das nasse Wetter hatte immerhin den Vorteil, dass die Wasserfälle, die wir auf der Strecke sahen, besonders viel Wasser führten und daher besonders spektakulär anzuschauen waren. Die letzte Nacht der Wanderung verbrachten wir in einer Hütte mit dem passenden Namen „Windy Ridge“…
„Where are the fucking boardwalks?“

Für den letzten Tag hatten unsere Guides uns eine besonders „leichte“ Etappe versprochen. Nun ist „leicht“ halt so ein relativer Begriff. Ja, es gab kaum steile An- oder Abstiege zu bewältigen, aber der Untergrund der Wege schien nach wie vor zum größten Teil aus Matsch, rutschigem Wurzelgehölz und großen Steinen zu bestehen. Zum Glück wurden sie an verschiedenen Stellen dann doch durch sogenannte „Boardwalks“, also durch Holzbohlen befestigte Wege unterbrochen. Für Hettys Geschmack von viel zu wenigen…
Gegen Mittag erreichten wir dann den Lake St. Clair, mit 167 Metern Tiefe Australiens tiefster natürlicher (Gletscher-)See. Über ihn sollte es dann mit einem kleinen Fährboot ans andere Ufer und damit zum Ende der Wanderung gehen. Unsere Führerin Mahalia ließ es sich aber nicht nehmen, vorher noch einen Sprung ins eiskalte Wasser zu machen. Laut ihren eigenen Angaben hatte sie noch nie eine Wanderung auf dem Overland Track ohne Bad beendet! Ihre Einladung an uns übrige Teilnehmer, es ihr gleichzutun, blieb ohne Resonanz… 😉
Am Ende waren Hetty und ich froh, die Wanderung doch gemacht zu haben. Auf dieses Erlebnis hätten wir wirklich nur ungern verzichtet. Allerdings würden wir nächstes Mal wahrscheinlich einen Termin später im Jahr auswählen, um mit besserem Wetter rechnen zu können.
Und ab jetzt heißt es erstmal den Schongang für Hettys lädierte Gliedmaßen einlegen! So dass wir auch den Rest dieser Reise ohne einen Rettungshelikopter überstehen!
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5 Comments
Poeh, wat een heftige wandeling! Gelukkig dat het is gelukt. Nu inderdaad maar goed laten herstellen. liefs Diana
HETTY! Du Heldin. Wahnsinn. Ich habe einen riesigen Respekt vor deiner Leistung und deinem Durchhaltevermögen. Klasse, wie du durchgezogen hast. Und schön, dass ihr euch durch die tollen Eindrücke auch belohnen konntet. Das freut mich so sehr für euch. Und Hartwig: Lass den Batt dran! Megahot.
Danke für die Blumen, aber der Bart ist schon wieder ab! Der sollte mich nur in den Bergen warm halten…! 😉
Das war ja mal wieder ein Reisebericht!!! Wow, die Wanderung muss ja der Hammer gewesen sein!! Was für ein Wetter und was für eine Anstrengung mit krankem Fuss!
Aber schön, dass Ihr das gemacht habt!! Hetty: ich ziehe den Hut vor Dir und hoffe, dass es Deinem Fuss bald wieder besser geht und Du das Outback geniessen kannst!!! Viele liebe Grüße
Wat een prachtige en bijzondere tocht hebben jullie gemaakt. Heerlijk en goed gedaan Het! Nu even met de beentjes omhoog. XXX